Quantcast
Channel: Frankfurt – Schröder & Kalender
Viewing all 17 articles
Browse latest View live

Unmoralisch wie die Unschuld

$
0
0

***
Es ist neblig, wir sehen nicht, wie der Bär flattert.
***

Der Erzähler Heinz-Jörg Peter Kuper ist am 25. November im Alter von 72 Jahren gestorben. In Frankfurt a. M. kannte man ihn nur als ›Hamlet‹, das ist auch der Titel seines Buches, welches 1980 im März Verlag erschien.

Es ist die Geschichte eines schwererziehbaren Kindes aus gutbürgerlichem Hause, eines Autodiebs aus manischer Leidenschaft für alles Amerikanische. Es ist die Geschichte eines Knastrologen, Matura-Mord und Frankfurter Halbwelt inklusive. »Ob man ein solches Buch Literatur nennen darf«, schrieb Christian Schultz-Gerstein im ›Spiegel‹, »darüber müssen sich die Leute den Kopf zerbrechen, die sich nur jene Literatur wünschen, von der Gaston Salvatore schreibt: ›Die Angst, die in der Luft liegt, kehrt in der Literatur wieder als die Angst, das Falsche zu sagen.‹ Das seltene Gegenstück zu solchen Büchern ist Peter Kupers ›Hamlet‹.«

Ich kannte Hamlet zunächst nur als komische Szenefiigur, die durch die Frankfurter Halbwelt geisterte, ein langes Elend: »Ich bin einsdreiundneunzig groß«, teilte er jedem ungefragt mit. Und weil er als Kind hellblondes Haar hatte, ließ er es später bleichen. Lange grellblonde Flusen unter einem schwarzen Hut, dicke blaue Gläser im Ray-Ban-Gestell, und wie Franco Nero als Django trug er einen langen Leinenflattermantel. Dieser dürre, gebeugte Mensch in pittoreskem Aufzug hatte einen merkwürdigen Gang. Später erfuhr ich von Hamlet, daß er sich diesen »Tigergang« angewöhnt hatte, weil ihm als Knabe der wiegende Schritt der schwarzen G.I.s so imponierte. Damit nicht genug, dieser Ausbund regredierter Phantasie führte auch noch einen falbfarbenen Afghanenhund an der Leine.

Zum ersten Mal sprach mich Hamlet etwa 1977 im ›Dominique‹ an, einem Szenelokal in der kleinen Bockenheimer neben dem ›Jazzkeller‹. Während ich eine Freundin begrüßte, die mir ihren neuen Freund vorstellte, blies mir ein warmer Atem wie aus Pferdenüstern ins Ohr: »Kurz nach Anbruch der Morgendämmerung betrat Kapitän Hornblower das Achterdeck der ›Lydia‹ …« Es hatte etwas von einem Zauberspruch, ich war für eine Sekunde perplex, drehte den Kopf zur Seite, da schwebte über mir dieses Gesicht mit blauen Brillengläsern, umrahmt von grellblondem Haar, und die dicken Lippen sprachen: »Das ist von Cecil Scott Forester aus der ›Hornblower-Trilogie‹. Ich hab’ die Bücher fünfmal im Knast gelesen, deshalb kann ich die Stelle auswendig.« Er begann, mir seine Lebensgeschichte zu erzählen und ich versprach ihm: »Vielleicht machen wir mal ein Buch miteinander.«

Tatsächlich wurde etwas daraus. Wir fuhren 1979 nach La Rochelle, dort erzählte mir Hamlet sein Leben. Es waren viertausend Seiten Rohtext. Anfang 1980 las sich das bearbeitete Manuskript dann so, als habe keiner jemals einen Finger an den Text gelegt. Ich gab die fünfhundertfünfzig Seiten an Franz Greno, der stellte das Buch her. Nun war es Zeit, den Erzähler zu informieren, ich rief Hamlet an: »Du kannst am Wochenende kommen.« Er fuhr mit der Bundesbahn nach Fulda, ich holte ihn vom Bahnhof ab und gab ihm den gesetzten Text: »Hier, aus diesen Korrekturfahnen wird später Dein Buch umbrochen, lies sie und sag mir, was du davon hältst.«

Er fing morgens um elf an mit der Lektüre. Ab und zu ging ich neugierig runter in die Küche, um ihn vom Flur aus beobachten zu können, wie er auf dem Streifensofa im Wohnzimmer saß und mit sich selbst redete: »Ja, ja, ja! Das stimmt!« Nachmittags kamen meine Töchter Katinka und Susanne, die damals so elf und zwölf Jahre alt waren, nach oben zu mir ins Büro und fragten: »Was hat denn der Hamlet? Er lacht dauernd so komisch und manchmal weint er auch.« »Der liest ein Buch über sein Leben, und das war eben komisch und traurig.« Abends, als Peter die letzte Fahne beiseite gelegt hatte, sagte er zu mir: »Ja, Jörg, genauso ist es gewesen.«

Kuper, Peter: ›Hamlet‹. Erzählt von Peter Kuper, bearbeitet und herausgegeben von Jörg Schröder. Leinen, 556 Seiten, (8°). Umschlaggestaltung: Typographie und Foto von Jörg Schröder. März Verlag, Berlin und Jossa 1980

***

***

***

***

***

(BK / JS)

flattr this!


Ein Nachruf der anderen Art

$
0
0

***
Der Bär flattert in nördlicher Richtung.
***

Wer bei Wikipedia ›Selmi-Hochhaus‹ eingibt, der erfährt etwas über die Baugeschichte des Frankfurter City-Hochhauses.

Über den Bankier Selmi gibt es keinen Eintrag, denn den »Bankier des Schahs« gab es gar nicht, sondern nur den Teppichhändler Ali Selmi. Der aber war ein Strohmann der kriminellen Vereinigung von fünf Vorstandsmitgliedern der Selmi-Bank, die illegal Wertpapiere in Höhe von 4,1 Milliarden Mark verdealten. Und damals war eine Milliarde noch ein Haufen Geld! Also ein vergessener Bank-Skandal aus dem Jahr 1975, an den uns diese Todesanzeige erinnerte:

Mehr dazu in unserer heutigen Kolumne in der jungen Welt.

(BK / JS)

Müllstück (1)

$
0
0

***
Der Bär flattert leicht in östlicher Richtung.
***

Aus gegebenem Anlass, morgen wird in Mülheim ›Der Müll, die Stadt und der Tod‹ von Rainer Werner Fassbinder aufgeführt, erzählen wir in unserem Blog die Geschichte der ›Notausgabe‹ im eigens dafür gegründeten April, April! Verlag:

Es fing mit der falschen Entscheidung an, die eigentlich eine richtige war, uns in die Kontroverse wegen Fassbinders ›Der Müll, die Stadt und der Tod‹ einzumischen. Bereits Ende Oktober 1985 hatten Mitglieder der Jüdischen Gemeinde zusammen mit ihrem Vorstand Ignatz Bubis die Uraufführung des ›Müllstück‹s in den Frankfurter Kammerspielen verhindert, weil darin das Klischee vom ›reichen Juden‹ kolportiert wird.

Anschließend retteten sich der Intendant Günther Rühle und der Kulturdezernent Hilmar Hoffmann mit einer juristischen Finte in die neutrale Ecke: Sie ließen das Stück als sogenannte ›Wiederholungsprobe‹ aufführen, die nicht öffentlich war und nur mit einer Pressekarte ausgestatteten Kritikern den Eintritt erlaubte. Danach zog der Intendant das Stück ›vorläufig‹ zurück, woraufhin Karlheinz Braun, der Geschäftsführer des Frankfurter Verlags der Autoren und Inhaber der Verlagsrechte, erklärte, er betrachte die ›Wiederholungsprobe‹ als Uraufführung.

Hintergrund dieser für juristische Laien verwirrenden semantischen Spitzfindigkeiten: Erst nach einer Uraufführung, der Premiere, kann ein Stück auf anderen Bühnen nachgespielt werden. Und hier liegt der Hase im Pfeffer: Der Verlag der Autoren wollte das skandalisierte Stück ohne Rücksicht auf die Proteste durchsetzen. Jetzt war nicht nur von Frankfurt die Rede, sondern von Aufführungen weltweit. So sah es Anfang Januar 1986 aus, das kulturpolitische Skandalon sorgte für Schlagzeilen, nur vergleichbar mit der ›Spiegel‹-Affäre, der Ausspähung und dem Rücktritt von Bundeskanzler Brandt, den Flick-Parteispendenprozessen oder eben Kanzler Kohls schwarzen Konten.

Man fragt sich zu Recht, warum ausgerechnet der März Verlag in diese Sache verwickelt wurde, schließlich hatten wir anfänglich nichts damit zu tun. Und auch wir hielten zunächst den Bubis-Protest für eine Überreaktion und waren wie fast alle Intellektuellen der Meinung: Dieses Stück muß aufgeführt werden nach dem Motto: Die Kunst ist frei, eine Zensur findet nicht statt. Wir wußten, dass Gerhard Zwerenz mit Fassbinder befreundet gewesen war und nicht nur in seiner ›Alexanderplatz‹-Verfilmung, sondern auch in anderen Fassbinder-Filmen mitgespielt hatte. Er schrieb auch einen Roman nach dem Film ›Die Ehe der Maria Braun‹, den der ›Stern‹ abdruckte. Was nun das ›Müllstück‹ angeht, wußten wir: Fassbinder wollte den Zwerenz-Roman ›Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond‹ verfilmen, dieses Vorhaben lehnte die Filmförderungsanstalt jedoch ab. Auch eine Dramatisierung des Stoffs durch Fassbinders Schauspielkollektiv scheiterte, daraufhin schrieb er eine eigene Bearbeitung, eben das ›Müllstück‹. Sofort gab es im Römer Proteste, und Fassbinder kündigte kurz darauf am Frankfurter Theater am Turm. Danach erschien das Stück bei Suhrkamp und wurde nach Polemiken von Helmut Schmitz in der ›Frankfurter Rundschau‹ und Joachim Fest in der ›Frankfurter Allgemeinen‹ vom Suhrkamp Verlag zurückgezogen. Wir wußten also ziemlich viel, hatten das Stück aber nicht gelesen, auch den Roman von Zwerenz nicht.

Es ist ja eine weitverbreitete schlechte Angewohnheit von Leuten, die in der Literatursuppe rühren, über Bücher zu reden, die sie nicht gelesen haben, aber irgendwie doch zu kennen glauben. Da sprießen exquisite Stilblüten, wenn zum Beispiel Marcel Reich-Ranicki im ›Literarischen Quartett‹ über Bernward Vespers ›Reise‹, tönte: »Na ja, schon literarisch sehr schwach, der Vesper, glaube ich. Ein Zeitdokument, ja gewiß.« Eben: Glaube ich! Keine Zeile von der ›Reise‹  hatte der Quasselkopp gelesen! Und so ging es mir bei Fassbinders Stück und Zwerenz’ Roman. Ich wußte, genau gesagt, nichts Genaues, hatte aber eine Meinung.

Da geschah etwas Banales, das unser vorgefertigtes Urteil ins Wanken brachte. Barbara kam vom Einkauf im Dorfladen nach Hause, den führte die wortkarge Frau Klein. Ihr gehörte auch die danebenliegende Kneipe, in der Horst Tomayer als Betriebsprüfer sein Bier trank; dieses maulfaule Mensch schmiss fast eine Szene im ›März-Akte‹-Film, das ist so schön peinlich! Tomayer redete auf sie ein, und die stand hinter ihrer Theke still wie ein Stein. Ein grandioser Dialog, bei dem diese Wirtin fast nur »hmmm« sagte. Dieser zustimmende Laut ist bekanntlich modulationsfähig, die größte Bandbreite hörten wir eines Morgens in Bayern, wir lagen noch im Bett. Der Bayerische Rundfunk dudelte weckdienstmäßig ins Halbbewußte, zwischen der Muzak liefen die Berichte vom Tage. Diesmal hatte eine Moderatorin Eltern aufgefordert, beim Sender anzurufen, damit deren Kinder etwas über den ersten Schultag nach den Ferien erzählen. Die Musik wurde runtergezogen, die Frauenstimme fragte: »Na, wie heißt du denn, und wie war dein erster Schultag gestern?« Eine helle Stimme antwortete:

»Gefällt es dir, dass die Schule wieder losgeht? Und wie heißt du?« »Hmmhiiimm.« Die Radiotante wurde unruhig: »Wer ist denn dran?« »Hmmhiiimm.« Dann wieder die Frau vom Bayerischen Rundfunk, schon ziemlich aufgeregt: »Willst du uns nicht etwas von deinem ersten Schultag erzählen? Oder sind Sie etwa die Mutter? Muß ich Sie sagen oder kann ich du sagen?« »Hmmhiiimm«, war die Antwort. Nun fragte die Moderatorin verzweifelt nach dem Alter, und tatsächlich piepste diesmal eine Kinderstimme wie aus der Pistole geschossen: »Sieben Jahre!« Aber danach ging es minutenlang weiter mit »Hmmhiiimm«. Allerdings konnte man der Modulation genauestens entnehmen, welche Erlebnisse auf den siebenjährigen Knaben gut oder weniger gut gewirkt hatten. Im Grunde war das Kind ein Tier, unser Hund Marron machte sich genauso verständlich. Nein, unser Hund war sprachbegabter!
***

***
Aus dem Laden der einsilbigen Kaufmannsfrau kam nun Barbara aufgeregt zurück und erzählte: »Stell dir vor, diese Klein, die sonst die Zähne nicht auseinander kriegt, quasselt plötzlich wie ein Wasserfall mit einer anderen Frau, und die ›Bild‹-Zeitung liegt dabei auf dem Ladentisch. ›Ei, wo komme mir dann do hie, dass die ons jetz e Deadersteck verbiede wolle?! Also dos geht wekklich zu weiht! So ebbes konne mir ons net gefalle geloß! Gelle, die sei doch alle Spekulande, die Judde!‹ Und die andere Dorffrau legte los: ›No kloar, die verdiene sich bei ons domm on dämlich, on dos alles uff onser Koste! Jo, dos gläb ich, dass die net wolle, dass dos Steck gezeicht werd, weil es jo die Woarheit iss iber dos Back! On da steht’s doch aach ganz genau‹, sie las aus der ›Bild‹-Zeitung das Zitat vor: ‚Er saugt uns aus, der Jud. Trinkt unser Blut und setzt uns ins Unrecht, weil er Jud ist und wir die Schuld tragen.‘ ›Dodebei ho die doch sälber Schold gehatt! Dass die scho wieder sovill Ifluß ho und das Steck verbiede wolle, dodro seat mer jo, dass es scho wieder vill zuvill vo dane gitt!‹ Jörg, ich bin rausgegangen, so fertig war ich, habe nichts gekauft. Diese Frau Klein hat sich doch noch nie fürs Theater interessiert, die hat noch kein Theater von innen gesehen, die kommt aus Schlechtenwegen gar nicht raus. Und jetzt ist dieses ›Müllstück‹ für sie der Anlaß, solche Hetztiraden abzulassen. Die ganze braune Scheiße kommt wieder hoch! Wahrscheinlich ist das überall so. Und deshalb ich bin jetzt auch gegen die Aufführung.«

Schlagartig war uns klargeworden: In der Sache geht es nicht um die besondere Empfindlichkeit der Juden oder die Freiheit der Kunst. Vielmehr hatte Fassbinders Schlagwort vom ›reichen Juden‹ einen antisemitischen Flächenbrand von links bis rechts ausgelöst. Der Theaterkritiker Peter Iden schwadronierte in der linken ›Frankfurter Rundschau‹ vom »jüdischen Kapital«. Joachim Fests Polemik gegen einen »linken Antisemitismus« war offenbar doch nicht so haltlos gewesen, wie ich mir das gewünscht hatte. Und natürlich flog der Deckel auch rechts vom Topf: Wilderich Freiherr von Mirbach Graf Spee, der CDU-Bürgermeister von Korschenbroich, bemerkte launig: Er müsse »wohl einige reiche Juden erschlagen, um den Haushalt seiner Gemeinde auszugleichen«. Der CSU-Abgeordnete Hermann Fellner zieh die Juden der Geldgier, weil sie Entschädigungen für die Zwangsarbeiter des Deutschen Reiches forderten. Das war eine Zäsur, eine Tendenzwende von Peter Iden über den Grafen Spee bis zur maulfaulen Kaufmannsfrau in Schlechtenwegen. Jetzt war Schluß mit intellektuellen Spitzfindigkeiten, jetzt mußte Farbe bekannt werden.

(Fortsetzung folgt)

Gerhard Zwerenz’ Sicht der Dinge kann man im Poetenladen lesen.

(BK / JS)

Müllstück (2)

$
0
0

***
Der Bär flattert in östlicher Richtung.
***

Heute wird in Mülheim ›Der Müll, die Stadt und der Tod‹ von Rainer Werner Fassbinder aufgeführt, daher erzählen wir die Geschichte der ›Notausgabe‹ im eigens dafür gegründeten April, April! Verlag:

Ich rief Gerhard Zwerenz an und erzählte ihm von Barbaras Erfahrungen mit dem gesunden Volksempfinden. »Ich bin auch gegen die Aufführung«, sagte er, »das habe ich aber schon 1982 nach Fassbinders Tod erklärt. Rainer hat ja das Stück selbst für unfertig gehalten; wenn er noch lebte, würde er es vermutlich bearbeiten. Wie auch immer, ich habe Karlheinz Braun schon einen Monat vor der Bühnenbesetzung gewarnt, diese Aufführung durchzusetzen, und ihm geraten, sich lieber mit dem Zustand faktischer Zensur abzufinden. Es hat nicht gefruchtet. Der Verlag der Autoren war entschlossen, die Konfrontation mit der jüdischen Gemeinde zu erzwingen. Das Ganze ist für mich besonders ärgerlich, weil Rainers Stück von meinem Roman inspiriert wurde. Im Grunde ist es eine Bearbeitung von ›Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond‹, wenn auch in schrecklicher Vereinfachung. Aber ich muß wohl damit leben, einerseits ständig als Stofflieferant des Stückes genannt zu werden, andererseits kein Mitspracherecht daran zu haben.«

Darauf redete ich mich in Rage: »Was ist das für eine bornierte Haltung?! Warum kann der Verlag der Autoren nach dieser Eskalation seine Position nicht zurücknehmen?! Schließlich sind Auschwitz-Überlebende in Häftlingskleidung vor dem Theater aufmarschiert und nicht das Egerländer Trachtenquintett. Sind denn Braun und Töteberg verrückt geworden, nicht zu begreifen, was sie mit ihrer Sturheit anrichten?« »Das siehst du richtig«, unterbrach mich Zwerenz, »aber du darfst eins nicht vergessen, es geht denen um Kohle! Der Verlag der Autoren will den Skandal, weil sie wissen, wenn sie das Stück in Frankfurt durchsetzen, wird es ein Welterfolg. Das bedeutet hohe Tantiemen, damit wären die saniert, deswegen halten sie daran fest. Hier geht es ums Geld!« »Das müssen wir verhindern!«, unterbrach ich ihn. Und Zwerenz: »Das kann man nicht verhindern.« »Vielleicht doch! Du sagst, Fassbinder hat sein Stück nach deinem Roman geschrieben. Kannst du das beweisen?« »Na klar, dass Rainer Stoff und Figuren übernommen hat, ist evident und feuilletonnotorisch. Bereits die erste Zeile seiner Szenenanweisung lautet: ›Auf dem Mond, weil er so unbewohnbar ist wie die Erde.‹ Auch seine Zentralfigur, der namenlose ›reiche Jude‹, ist von den Charaktereigenschaften und Handlungen der Figur des Abraham abgeleitet, allerdings ohne diese aus seiner Biographie zu erklären wie im Roman. Das aber hat dem Stück ja gerade den Vorwurf des Antisemitismus eingebracht. Und in Rainers Stück fehlen auch meine Protagonisten, so zum Beispiel der Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Deshalb ist das  ›Müllstück‹ so klischeehaft mißverständlich, und es ärgert mich, dafür mithaften zu müssen. Seit 1975 habe ich Rainer geraten und gebeten, dieses Stück vor einer Aufführung zu bearbeiten. Er hat es mir versprochen und nie bestritten, den Stoff aus meinem Roman genommen zu haben. Hier bei mir liegt sein erstes Manuskript mit der handschriftlichen Dedikation von Ingrid Caven, Fassbinders damaliger Frau: ›Mit Gruß von Rainer und Dank für die Figuren‹.«

Das war eine interessante Wendung. »Wenn dir Fassbinder für die Figuren dankt«, sagte ich zu Zwerenz, »dann ist das  ›Müllstück‹ nach meinem Verständnis von Urheberrecht eine abhängige Bearbeitung. Somit hast du einen urheberrechtlichen Anteil daran, folglich auch ein Mitspracherecht. Du könntest dich also hinstellen und konstatieren: ›Ich bin gegen eine Aufführung.‹ Als Urheberberechtigter mußt du es nämlich nicht hinnehmen, wenn eine schlechte Bearbeitung deines Stoffes gespielt werden soll.« »So gesehen, hast du recht«, meinte Gerhard, »aber es gefällt mir nicht, meinem toten Freund ins Grab nachzurufen, dass er ein schlechtes Stück geschrieben hat. Außerdem gibt es ja noch sein Drehbuch, in dem er sich eng an den Roman anlehnt. Das habe ich hier liegen; wenn du willst, komm her und vergleiche die beiden Texte.« Das taten wir, Barbara und ich rauschten im Volvo vom Vogelsberg in den Hochtaunus und holten Roman und Drehbuch ab, lasen beide und beschlossen: Dieses Buch muß neu erscheinen, erstens, weil es gut ist, und zweitens, um Zwerenz’ rechtliche Position zu stützen und anschließend das ›Müllstück‹ zu kippen.

Ganz richtig, ich finde, der 1973 zuerst im S. Fischer Verlag in Frankfurt am Main erschienene Roman ›Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond‹ ist nicht nur gut, sondern der beste Stadtroman der zweiten Republik. Ja, ich weiß, Gerhard Zwerenz hat nicht den besten Ruf, weil er als Vielschreiber durch alle Genres turnte. Ein ähnliches Beispiel ist Upton Sinclair, auch er schrieb wie Zwerenz über hundert Bücher und davon blieben nur wenige. Was sicher bleibt ist der ›Dschungel‹, sein Roman über die Ausbeutung der Emigranten in den Schlachthöfen Chicagos, der gehört in den Kanon amerikanischer Literatur. Und Zwerenz’ ›Erde‹ erzählt von einem deutschen Chicago namens Frankfurt, und dieses Buch von ihm wird ebenfalls bleiben. Es ist ein Bericht über Stadtzerstörung durch Spekulanten und die Verstrickungen von Kommunalpolitikern in die kriminelle Szene der Halbwelt. Das alles spielt vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs der Jugendrevolte. In diesem Roman schildert Zwerenz auch den Weg des Barbesitzers Abraham aus dem Bahnhofskiez in die Welt der Westend-Grundstücksspekulanten.

Nebenbei bemerkt: In sämtlichen Publikationen war und ist stereotyp davon die Rede, dass Zwerenz und nach ihm Fassbinder die Figur des jüdischen Spekulanten von dem Immobilienkaufmann Ignatz Bubis abgenommen hat. Alle diese Skribenten sind auf dem Holzweg und kennen die wahren Frankfurter Verhältnisse nicht. Denn Ignatz Bubis war nie auch nur entfernt in das Frankfurter Rotlichtmilieu involviert. Wenn hier schon reale Figuren genannt werden sollen, so müßten es solche Leute sein wie Joschel Buchmann oder die Beker-Brüder, die unter traumatisierten KZ-Überlebenden in DP-Lagern aufwuchsen. Deren zwischen Brutalität und Sentimentalität changierende Psyche porträtiert Gerhard Zwerenz meisterlich in seiner Figur des Abraham.

Parallel dazu erzählt der Autor die Vita des Generalstaatsanwalts Fritz Bauer, des Anklägers im Frankfurter Auschwitz-Prozeß. Solche gegensätzlichen Charaktere werden über einen jungen Rechtsanwalt zusammengeführt; als Vorbild für diese Figur diente Reiner Demski, der Anfang der Siebziger gestorben war. Ihm gehört die besondere Sympathie des Autors. Seine Zuneigung für diese anarchistische Lichtgestalt nützte Zwerenz allerdings bei Demskis Witwe wenig, der war das immer noch nicht Licht genug. Wirklich, Witwen sind unersättlich und Rachegöttinnen dazu! Eigentlich ist Eva Demski eine gute Autorin und eine gelassene, humorvolle Frau, aber wenn sie nur den Namen Zwerenz hört, kriegt sie Schaum vor den Mund. Na, lassen wir mal die Witwe beiseite, hier geht es um literarische Gerechtigkeit. Deshalb wollte ich eine Neuauflage dieses vergessenen Romans der siebziger Jahre veranstalten. Paradoxerweise wurde diese Edition vom Skandal, dessen Auslöser ›Die Erde‹ letztendlich war, auch gleich wieder zugedeckt.

Mein Plan war, in einem Anhang zum ›Erde‹-Roman Fassbinders Drehbuchadaption zu dokumentieren, damit ein Vergleich möglich sei. Angesichts der Aufregungen und Verwirrungen, die der Skandal mit sich gebracht hatte, sollte dieses Drehbuch zeigen, dass Fassbinder neben der mißlungenen auch noch eine adäquate Bearbeitung des Stoffes abgeliefert hatte. Da nun dieses Drehbuch wortwörtlich der Romanvorlage folgte, dachte ich, der Verlag der Autoren kann einem honorierten Abdruck schlechterdings nicht widersprechen, zumal er der Begriffsentwirrung dienen sollte. So schlug ich es Zwerenz vor, er akzeptierte, und die Sache nahm ihren Lauf: Der März Verlag kündigte für den Februar 1986 den Roman ›Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond‹ an zusammen mit Fassbinders Drehbuch.

Gleichzeitig untersagte Zwerenz’ Anwalt Manfred Oehme, der auch mich vertrat, dem Verlag der Autoren die bühnenmäßige Auswertung des ›Müllstück‹s. Darauf konterte der: »Wir haben auch Rechte an dem Drehbuch, deshalb verbieten wir nun unsrerseits den Abdruck im März Verlag.«

Wenn du in einen inszenierten Skandal über einen gefährlichen Stoff, bei dem die Argumente hochkochen, plötzlich ein formaljuristisches Argument einführst und feststellst, dies sei lediglich ein Versuch zur Klärung eines Sachverhalts, funktioniert das wie ein Kurzschluß. Die Skandalmaschinerie kommt zum Stillstand. Anders gesagt, die Bühnen im In- und Ausland, die sich schon darauf gespitzt hatten, das skandalumwehte Stück in ihrer Stadt aufzuführen, waren nun verunsichert. Denn es ist eine Sache, sich an Entrüstungsreflexen der Juden gesundzustoßen, und eine andere, sich um die Pfändung der Theaterkasse sorgen zu müssen. Ob New York, Mailand oder Ulm, alle Bühnen bekamen mit, dass es bei dem Frankfurter Streit nicht mehr nur um Inhalte und Moral ging, sondern auch um eine urheberrechtlich ungeklärte Situation. Deshalb waren sie nun nicht mehr so sehr interessiert. Unsere Strategie erwies sich als erfolgreich: Wir hatten dem Verlag der Autoren das Geschäft vermasselt. Entsprechend wütend reagierten die auf den Verlust ihrer melkenden Kuh und begannen, Truppen gegen mich zu sammeln. Als erstes erwirkten sie eine einstweilige Verfügung. Hier mußte der März Verlag unterliegen, weil ja Fassbinder ebenso wie Zwerenz einen urheberrechtlichen Anteil an dem Drehbuch zum ›Erde‹-Roman hatte.

Und jetzt machte ich einen Fehler. Ich hätte der Druckerei sagen müssen: »Makuliert den Drehbuch-Anhang, wir veröffentlichen nur den Roman von Zwerenz.« Dann hätte der Verlag der Autoren sich seine einstweilige Verfügung an den Hut stecken können. Aber als manchmal zu viel wagender Drehkopf dachte ich mir: Eine einstweilige Verfügung gegen März? Na, dann gründe ich schnell einen neuen Verlag, nenne den ›April, April! Verlag‹, das Buch erscheint also in einem Verlag, gegen den es noch keine einstweilige Verfügung gibt – als kalkulierter Raubdruck. Ich formulierte neue Verträge mit Zwerenz, änderte den Umschlag und die Titelei, alles geheime Kommandosache, meldete den ›April, April! Verlag von Jörg Schröder‹ zum Gewerberegister an. Außerdem lud ich zu einer Pressekonferenz ein.

Gerhard Zwerenz’ Sicht der Dinge kann man im Poetenladen lesen.

(Fortsetzung folgt)

(BK / JS)

Müllstück (3)

$
0
0

***
Der Bär flattert in südöstlicher Richtung.
***

Gestern fand in Mülheim die Uraufführung von Fassbinders ›Der Müll, die Stadt und der Tod‹ statt. Wir erzählen hier die Geschichte der ›Notausgabe‹ im eigens dafür gegründeten April, April! Verlag:

Der Verlag der Autoren bekam Wind von der Sache und beantragte beim Schnellrichter eine Beschlagnahmung der ›April, April!‹-Ausgabe. Einen Tag vor der Pressekonferenz erschienen zwei hessische Polizisten mit dem Gerichtsvollzieher Hohler – der Mann hieß tatsächlich so! – und präsentierten einen Durchsuchungsbefehl, der sie ermächtigte, alle auffindbaren Exemplare der ›April, April!‹-Ausgabe sicherzustellen. Vorsichtig, wie wir gewesen waren, befanden sich die für die Pressekonferenz vorgesehenen zweihundert Bücher nicht im Hause, sondern lagen im Volvo-Kofferraum. Die Polizisten und der Gerichtsvollzieher machten die Bude links, ans Auto, das dick und fett vor der Haustür stand, dachten sie nicht. So fanden sie nur zwei Belegexemplare, die sie beschlagnahmen konnten.

Trotzdem hatten die Beamten Spaß an der Aktion, mit ihren Stinkefingern wühlten sie ausgiebig in Barbaras Unterwäsche. Obwohl Barbara sie darauf hinwies, dass dies ihr Privatzimmer sei, durchstöberten sie jede Schublade der Kommode. Wie japanische Wäscheschnüffler begrapschten sie jeden Slip. Nein, dieser Vergleich ist falsch! Barbara legt Wert auf die Feststellung, dass in ihren Schränken keine benutzte Wäsche aufbewahrt wird.

Warum wir für die Pressekonferenz ausgerechnet den ›Frankfurter Hof‹ wählten? Na, ganz einfach: Weil erfahrungsgemäß in so einem ersten Haus am Platze mehr Journalisten erscheinen, als wenn du ins Gewerkschaftshaus einlädst, zweiter Stock, dritte Tür links. Der Konferenzraum war rappelvoll mit zirka sechzig Leuten. Es gab auch eine Fernsehkamera, alle wichtigen Zeitungen und Magazine hatten Korrespondenten und Reporter geschickt: ›Baseler Nachrichten‹, ›Frankfurter Allgemeine‹, ›Frankfurter Rundschau‹, ›Süddeutsche‹ und wie sie alle hießen. Zwerenz sprach über die Genesis von Drehbuch und ›Müllstück‹, Anwalt Oehme legte unsere Urheberrechtsposition dar, ich polemisierte gegen den Verlag der Autoren, der als einer der Kollektivverlage 1969 aus der Literaturproduzentenbewegung hervorgegangen sei und jetzt einem anderen linken Verlag die Polizei ins Haus schicke. Und nicht nur uns, auch der Sozialistischen Verlagsauslieferung; Helmut Richter hatte es ebenfalls empört, dass der Genosse Karlheinz Braun das Sova-Lager von Polizeikräften durchsuchen ließ, übrigens auch hier ohne Erfolg. Doch als Barbara den Presseleuten berichtete, wie die Bullen mit den Wichsgriffeln in ihrer Unterwäsche rumgestöbert hatten, wirkte diese schlichte Geschichte überzeugender als unser ganzer elaborierter Urheberrechtsklimbim.

Das war wirklich ein Ding! Man kann sich ja vor Gericht bekämpfen, aber einem anderen Verlag die Bullen ins Haus schicken, dazu würde ich mich nicht hinreißen lassen. Noch ganz andere Geschmacksbollwerke begannen unter dem Druck der Ereignisse zu bröckeln. Klaus Schöffling, damals noch nicht Verleger, sondern Dozent an der Buchhändlerschule, schrieb im ›Börsenblatt für den deutschen Buchhandel‹ sieben Seiten voll mit grotesken Sätzen wie: »Jedenfalls schreckt jetzt ein Verleger, der dieses Handwerk seit immerhin zwanzig Jahren betreibt, nicht vor einem Raubdruck zurück und versucht auch noch, den Rechteinhaber als ›links‹ zu diffamieren: Jörg Schröder.« Dass ›links‹ einer Diffamierung gleichkommt, muß einem erst mal einfallen! Man konnte sich nur noch an den Kopf fassen, was hier bei bisher intellektuell satisfaktionsfähigen Leuten vor sich ging. Es zeigte sich eben, dass diese ›Müllstück‹-Kontroverse mehr vom ewigen Antisemitismus hochspülte als geahnt, ein ähnliches Phänomen wie bei der Walser-Diskussion.

An der Tete der Anti-März-Kampagne marschierte Walter Boehlich, den ich bis dahin immer für einen guten Mann gehalten hatte. Während der ›Polizeimesse 1968‹ stellte er sich offen gegen Siegfried Unseld, der als Mitglied des Buchmesse-Aufsichtsrats zwischen allen Stühlen saß. Nach diesem Eklat feuerte der aufgebrachte Suhrkamp-Verleger seinen Cheflektor wegen Illoyalität. Anschließend gründeten Boehlich, Benseler, Pinkall und ich mit einer Handvoll Autoren, Journalisten, Lektoren und Verlegern die ›Literaturproduzenten‹. Parallel dazu entstanden die Kollektive März Verlag und Verlag der Autoren, dessen Leiter Karlheinz Braun vorher ebenfalls im Suhrkamp Verlag gearbeitet hatte. Seitdem war Boehlich eng mit Braun verbunden und vertrat verständlicherweise dessen Position. Weniger Verständnis habe ich dafür, dass er dabei Lügen in die Welt setzte, die man sich kaum traut wiederzugeben, so dumpf nölte es aus Boehlichs Pfeifenmaul: »Dieser Schröder, das weiß man ja längst, lässt sich von Bubis für diesen Coup bezahlen.«

Ausgerechnet von meinem Freund Christian Schultz-Gerstein mußte ich mir diese Latrinenparole anhören, Boehlich hatte sie ihm gesteckt wie allen anderen auch. Damals saß Christian schon nicht mehr beim ›Spiegel‹, sondern hatte zum ›Stern‹ gewechselt. Ich kann es mir nur mit Suff erklären, dass er diesen Scheiß des integren Herrn Boehlich glaubte, obwohl ich ihm doch alles brühwarm und bis ins Detail erklärt hatte. »Kein Thema, gib doch zu, Bubis hat dich bezahlt«, sagte er in seiner gedehnten Sprechweise zu mir, »du bist eben auch ein Schwein!« Unnötig zu erwähnen, ich bekam von niemand einen Pfennig – leider. Von Bubis gar nicht zu reden, weder mit ihm noch mit irgendeinem seiner Rechtsvertreter habe ich je gesprochen oder korrespondiert, auch später nicht. Aber ich muss zugeben, der Bestechungsvorwurf war gut ausgedacht – Stichwort: ›reicher Jude‹ –, er passte ins allgemeine Bild. Ich verstand die Welt nicht mehr: Wie konnte ein Mann wie Boehlich, der sonst immer eine moralische oder gelehrte Fußnote parat hatte, plötzlich auf solch ein primitives Kolportageniveau sinken? Damit war der Kerl für mich nicht nur intellektuell, sondern auch menschlich erledigt.

Wenn ich heute das Resultat unserer Bemühungen betrachte, was bleibt da? Das ›Müllstück‹ wurde nicht aufgeführt, auch dank unserer Zwerenz-Aktion. Es folgte dann noch der Prozeß, den der Intendant der Frankfurter Bühnen, Günther Rühle, gegen Henryk Broder führte, hierbei ging es um Rühles angeblichen oder tatsächlichen Ausspruch vom »Ende der Schonzeit«. Von da an war die Stimmung in den Medien endgültig umgeschlagen. Dabei kann man vergessen, dass vor einigen Jahren das Berliner Gorki-Theater erfolglos versuchte, den Frankfurter Skandal zu wiederholen, und das Stück sporadisch an drei, vier ausländischen Bühnen gespielt wurde, in New York und sogar in Israel. Bisher glückte also eine Skandalisierung nicht mehr, die Luft war raus.

Aber jetzt versucht es der Verlag der Autoren erneut in Mühlheim. Denn die Parole vom »Ende der Schonzeit« ist noch nicht verklungen. Im Gegenteil, vom Festakt auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg und der ›Müllstück‹-Kontroverse Mitte der Achtziger bis zur Walser-Moralkeulen-Diskussion ist das Thema virulent. Insofern war die Gewißheit, die Uraufführungsversuche in Frankfurt mit verhindert zu haben, nur ein kleiner Sieg und vielleicht die viele vergeudete Arbeitszeit und die Aufregungen nicht wert. Mit letzterem meine ich weniger die öffentlichen Auseinandersetzungen, sondern ganz schlicht meine physische Konstitution. Schließlich waren Barbara und ich ständig unterwegs gewesen, hatten mit irgendwelchen Alternativgruppen und in zahlreichen Buchhandlungen diskutiert. Die Buchhändlerschule lud mich ein und auch Paulus Böhmer in sein soeben gegründetes Hessisches Lite-raturbüro. Wenn ich zwei Stunden bei einer Veranstaltung geredet hatte, war ich erschöpft. Eine neue Erfahrung für mich, bisher war Aufregung mein Lebenselixier gewesen. Plötzlich machte mich eine Diskussion fertig. Das schrieb ich dem Thema zu, dabei war es nur der Aufgang einer Krankheit, verengte Herzkranzgefäße eben, was ich nicht wußte oder nicht wissen wollte.

Insgesamt eine anstrengende Sache: emotional, physisch und vor allem – schon wieder fällt mir das zuletzt ein – auch ökonomisch. Von den fünftausend Zwerenz-Büchern hatten wir zweitausend ausgeliefert, allerdings unverlangt mit Remissionsrecht – das musste wegen der rechtlichen Situation sein. Davon kamen über tausend Exemplare zurück. Unsere Hoffnung, dass der Buchhandel den Rest der ›April, April!‹-Auflage trotz der einstweiligen Verfügung bestellen würde, ging nicht auf. Zwar hätte es für die Sortimenter kein Risiko bedeutet, denn die Verkaufsverbote richteten sich nur gegen den Verlag. Aber Buchhändler gehören nun mal – bis auf ein paar Ausnahmen, die du an den zehn Fingern abzählen kannst – zur Spezies der Hasenfüße. Deshalb sollte sich kein Verleger bei Strafe des Totalflops auf die Risikofreude des Buchhandels verlassen. Viertausend Exemplare lagerten zum Schluss bei der Sova, Helmut Richter ließ sie irgendwann wegen der hohen Lagerkosten makulieren. Daher ist das Buch mittlerweile ein Antiquariatsrarum, das ist die ökonomische Quintessenz der Aktion: Fünfundsechzigtausend Mark Produktions- und Gerichtskosten waren in den Sand gesetzt, Geld, das wir nicht hatten und das uns kein Bubis spendete.

Gerhard Zwerenz’ Sicht der Dinge kann man im Poetenladen lesen.

(BK / JS)

Zwei Messetips

$
0
0


***
Der Bär flattert in südöstlicher Richtung.
***

Wegen vielfältiger Arbeiten vor Ort fahren wir in diesem Jahr nicht zur Frankfurter Buchmesse. Aber immerhin sind wir dort mit einer Geschichte über die Frankfurter Doktormacher vertreten, die so unglaublich ist, wie es nur die Realität sein kann. Sie handelt von zwei Ganoven, welche die Promotionsurkunden in der Butzbacher Gefängnisdruckerei anfertigten. Nehmt also und lest: In der neuen Ausgabe von Kultur & Gespenster zum Thema Hochstapler (Nr. 9).

Die Kulturzeitschrift erscheint vierteljährlich und wird von Gustav Mechlenburg, Jan-Frederik Bandel, Nora Sdun und Christoph Steinegger im Textem Verlag herausgegeben. Auf der Buchmesse findet man die Ausgabe am Stand der Edition Nautilus, Halle 3.1 B 165)

Ja, und dann nicht vergessen: Unser Kommissionsverleger Martin Schmitz zeigt in diesem Jahr zum letzten Mal die große Jubiläumsausgabe von ›Schröder erzählt‹: Halle 3.1 B 169.

Martin Schmitz, Jubiläumskassette Schröder erzählt
Martin Schmitz während der Buchmesse 2008

Das sind fünfzig Folgen in fünf schönen Kassetten zum Subskriptionspreis von 1.750 Euro. Ab 1. Januar 2010 kostet die Ausgabe nebst Kassetten dann 1.940 Euro – mehr Rendite also als mit Junk-Aktien. Und was die Wertbeständigkeit der Sammlung angeht: Inzwischen besitzen 30 Universal-, Universitäts- und Spezialbibliotheken sowie Sammlungen die Folgen von ›Schröder erzählt‹, darunter auch die Library of Congress und die Widener Library der Harvard University.

(BK / JS)

Die Doktormacher (4)

$
0
0

***

Es ist dunkel, wir sehen nicht, wie der Bär flattert.
***

Doktormacher, Schröder & Kalender

Aus der Kriminalakte: Das Bruderhaus im Westend. Im Untergeschoß befand sich Frankfurts berüchtigtste K.-o.-Tropfen-Bar mit dem treffenden  Namen ›Love Story‹.
***

Die Karriere der Frankfurter Doktormacher begann im Knast von Butzbach, dort druckten sie auf den Maschinen der Gefängnisdruckerei die ersten Verleihungsurkunden. Wo wir die beiden kennenlernten, fast ein Buch und einen Film über sie machten, und wie es weiterging, das ist eine verwickelte Geschichte, die in der ›Hochstapler # II‹-Ausgabe von Kultur & Gespenster steht. Und weil sie so irre ist, jetzt auch in Fortsetzungen in unserer Kolumne in der jungen Welt.

(Das Material über die ›Doktormacher‹ befindet sich im März-Archiv des Deutschen Literaturarchivs Marbach.)

(Foto: NN / BK / JS)

Sommertage I

$
0
0

***
Der Bär flattert in östlicher Richtung.
***

Arbeitsreiche Wochen liegen hinter uns, in denen wir 16 März-Titel  für die Büchse der Pandora vorbereitet, gleichzeitig die neue Folge “Funkloch” hergestellt und  ›Immer radikal, niemals konsequent‹ bei Philo Fine Arts fertig gemacht haben. Das Buch über den März Verlag ist schön geworden und wird am 20. Juli ausgeliefert.

Es blieb keine Zeit für Gäste. Wir waren auf Entzug und freuten uns, als Jamal Tuschick seinen Besuch ankündigte.

Montag, den 27. Juni

Abends saßen wir mit Jamal auf der Terrasse, und er berichtete von seinen Projekten. Bei Martin Schmitz erscheint demnächst sein neues Buch aus dem ›Burg‹-Zyklus mit dem kryptischen Titel ›Grobzeug im Rindermix‹. Als Tuschick-Fans ahnen wir: Das gibt wieder eine volle Breitseite auf Frankfurts Äppelwoi-Kultur. Einige Kapitel stehen schon im Netz.

v.l.n.r.: Jamal Tuschick, Barbara Kalender, Jörg Schröder

Dienstag, den 28. Juni

Heute trafen wir uns in Kreuzberg mit Matthias Mergl und Wolfgang Müller im ›Südblock‹, direkt am Kottbusser Tor. Man sitzt dort im Schatten kleiner Bäume und blickt auf den neobarocken Springbrunnen aus dem Baumarkt, cool. Matthias dedizierte uns sein neues Buch ›Der Terror der Selbstverständlichkeit – Widerstand und Utopien im Neo-Individualliberalismus‹, über das Wolfgang Müller in ›Spex‹ schrieb: »Die Grünen tapezieren rassistische Wahlplakate, ein Schwuler aus der FDP wird Außenminister, im Saarland bildet sich eine Jamaika-Koalition: 2009 war das Jahr des ›Neo-Individualliberalismus‹. Der neue Begriff beschreibt eine unsichtbare und gefährliche Bewegung, die von der Annahme ausgeht, alle Emanzipationsutopien seien verwirklicht und kollektive Interessen hätten sich deswegen erledigt.«


v.l.n.r.: Matthias Mergl und Wolfgang Müller

Wolfgang Müller erfreute uns und die umliegenden Tische mit einer spontanen Lesung aus seiner fulminanten Satire über den Kunstmarkt mit dem Titel ›Kosmas‹. In seinem Geleitwort schreibt er: »In ›Kosmas‹ erlaube ich mir, Kleinteiliges und Mikrokosmisches neben Gigantisches und Universelles zu stellen, Lokales neben Globales, Echtes neben Künstliches, Wahres neben Unwahres, Privates neben Öffentliches, Organisches neben Anorganisches, Festes neben Weiches. Durch diese Gegenüberstellungen und gleichzeitigen Verschränkungen entstehen Räume. Und genau in diesen formt sich eine Gestalt, die mich fasziniert. Eine Gestalt, die eine Ästhetik der Präsenzen konstituiert.«

Mittwoch, den den 29. Juni

Erster freier Tag seit langem, wir drehten unsere übliche Runde im Volkspark. Trotz des schönen Wetters waren nicht viele Leute unterwegs. Drei Teenager kicherten, als wir an ihnen vorbeigingen. Plötzlich knallte es neben uns und gleich darauf noch einmal. Ein junge Mann, der mit seiner Freundin auf der Bank saß, rief: »Mensch, macht das mal woanders!« Aber das ist ja nicht der Sinn der Sache, es soll ja stinken.

Gleich auf der nächsten Bank saß ein oller Hippi-Engel und redete auf hilflose Parkbesucher ein.

Wieder zuhause packten wir die Badehosen ein und fuhren an unseren Lieblingssee.

Morgen geht’s weiter

(BK / JS)

flattr this!


Um Bismarck herum

$
0
0

***
Der Bär flattert in südöstlicher Richtung.
***
1970 gründete ich in Frankfurt a. M. und Genf die ›Bismarc Media‹ als GmbH bzw. SA (Schweizerische Aktiengesellschaft). Die Geschichte dieser Konzept-Agentur habe ich dann im ›Siegfried‹ erzählt. Auf den neuesten Stand gebracht (also inklusive Trittbrettfahrer Helmut Höge) wurde sie im soeben erschienenen Buch ›Immer radikal, niemals konsequent‹. Auch in diesem Blog gibt es einen Beitrag über Sinn und Zweck der kryptischen Agentur.

Lediglich um die Antwort auf die häufig gestellte Frage: »Warum hast du sie ausgerechnet ›Bismarc‹ genannt?« habe ich mich bisher gedrückt. Weil nämlich die Kette der Assoziationen bei den meisten Namen- und Titelsuchen aus vielen oft banalen Gliedern besteht. Der Name der Agentur sollte etwas mit mir zu tun haben, aber natürlich über das Biographische hinaus weisen. Also: Ich bin in der Bismarckstraße 36 a (heute Hermann-Hesse-Straße) in Pankow-Niederschönhausen aufgewachsen. Als Kind ist mir die Bismarck-Figur eine mythische Gestalt gewesen. So wie sie etwa Reinhold Begas mit seinem monumentalen Bismarck-Denkmal auffasste, das heute am Großen Stern steht.

Und just als Barbara und ich neulich nach einem Spaziergang durch den Tiergarten dieses Denkmal umrundeten, hatten Grufties

den Atlas und den das Reichsschwert schmiedenden Siegfried in Bismarcks Rücken in Zombies verwandelt.

Gleichsam die abschließende Antwort auf die Bismarc-Frage.

(BK / JS)

flattr this!

Erwähnungsgeschäft (2)

$
0
0

***
Der Bär flattert in nordöstlicher Richtung.
***


In der heutigen Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gibt es ein 24seitiges Feuilleton mit dem Titel ›Geld & wir‹, in dem Schriftsteller, Agenten, Verleger und Literaturwissenschaftler über den Nervus rerum reden und schreiben, darin sind auch wir mit einer Geschichte vertreten. Also auf zum Kiosk!

Gleichzeitig erhielten wir noch einen sehr schönen Aufsatz, den der Musiker und Schriftsteller Kristof Schreuf unter dem Titel ›Permanent an allen Dingen dran‹ für OPAK geschrieben hat. Das Heft #10 dieser sehr guten Kulturzeitschrift erscheint in den nächsten Tagen.

Am Mittwoch, den 12. Oktober sind wir im WDR5 in der Sendung ›Neugier genügt · Redezeit‹ vom 11:05 bis 11:30 Uhr zu Gast. Unsere Gesprächspartnerin wird Sabine Brandi sein.

***

Dummy mit Barbara Kalender (technikbedingt noch mit roten Augen) und Povl, Foto: Jörg Schröder

***

Der historische Bücherberg auf der Frankfurter Buchmesse 1984, Foto: Jörg Schröder
***
Zur Buchmesse fahren wir in diesem Jahr nicht, denn die für diesen Herbst angekündigten 16 MÄRZ-Lizenzen, die als Imprint im Verlag Büchse der Pandora herauskommen sollten, werden nicht erscheinen.

(BK / JS)

flattr this!

Großdemonstration gegen den Mietenwahnsinn (2. Teil)

$
0
0

***
Der Bär flattert  in westlicher Richtung.
***

Gestern fand am Potsdamer Platz eine Demonstration gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn statt. 15.000 Menschen folgten dem Aufruf eines Bündnisses, gegen Mietwucher und Spekulation.

Es gab in Deutschland in der Vergangenheit  andere erfolgreiche Beispiele, wir erinnern nur an die teilweise Rettung des Frankfurter Westends: Die Protestbewegung zwang die Stadt Frankfurt mit friedlichen und weniger friedlichen Mitteln, die letzten alten Bürgerhäuser im Westend aufzukaufen. Schließlich sanierte die Stadt Frankfurt die Häuser und vermietete Wohnungen an die Bewohner zu angemessenen Preisen. Zwar wurde das Deutsche-Bank-Hochhaus im Westend gebaut, zwei Wolkenkratzer jeweils 155 Meter hoch, aber dank der Proteste konnte Schlimmeres verhindert werden.

Die Zerstörung des Westends hatte im Laufe der späten sechziger Jahre dramatische Formen angenommen. Die Zahl der Wohnungen war allein im Jahr 1968 um mehr als viertausend zurückgegangen. Die Methoden zur Vertreibung der Mieter waren drastisch. Reparaturen wurden bewusst unterlassen, bereits entmietete Wohnungen mit weitgehend rechtlosen sogenannten Gastarbeitern überbelegt. Dies führte zur Verwahrlosung der Wohnhäuser, die sanitären Anlagen reichten nicht aus, Rattenplagen entstanden. Hauseigentümer machten ihre Wohnungen vorsätzlich unbewohnbar: Heizungen fielen aus, Rohre brachen und massiver Baulärm entnervte die Mieter. Wenn die Bewohner diesem Druck schließlich nachgaben und auszogen, wurden zahlreiche Altbauten abgerissen und durch Bürogebäude im Stile der Zeit ersetzt. Das Bild der Bockenheimer Landstraße änderte sich radikal, vom ehemaligen Boulevard blieb kaum etwas erhalten. In den Nebenstraßen erreichten Bauspekulation, Mietervertreibung und Abriss ungeahnte Ausmaße. Innerhalb von vier Jahren halbierte sich die Einwohnerzahl des Westends auf zwanzigtausend.

Als Folge dieser Zustände kam es im Herbst 1970 zu zahlreichen Hausbesetzungen, diese Ereignisse fielen zeitlich mit der Proteststimmung der Studentenbewegung zusammen und lösten eine Widerstandsbewegung aus, an der auch Til Schulz und Joschka Fischer, jeder auf seine Weise, Anteil hatten. Til Schulz, Friede seiner Asche, ist der Herausgeber von Willi Münzenbergs ›Propaganda als Waffe‹, das Buch erschien zwei Jahre später im März Verlag. Er wohnte als Student in einer Wohngemeinschaft mit Lothar Menne, dem späteren Verleger von Heyne, Ullstein, Hoffmann und Campe, und Joschka Fischer, dem späteren Außenminister, der heute in einer Villa in Grunewald residiert.

Diese drei Studenten hatten eine Wohnung im Grüneburgweg besetzt. Bei der Räumung der besetzten Häuser durch die Polizei kam es zu Straßenschlachten im Westend. Es folgten zahlreiche Auseinandersetzungen, die von beiden Seiten mit großer Härte geführt wurden. Diese Proteste erwirkten, dass die Stadtverordnetenversammlung eine Veränderungssperre erließ und einen Bebauungsplan erstellte. 1972 wurde dann die Hessische Verordnung gegen Wohnraumzweckentfremdung erlassen, damit war der Grundstücksspekulation im Westend ein Riegel vorgeschoben. 1974 wurden im Hessischen Denkmalschutzgesetz die Bürgerhäuser im Westend aufgenommen, somit waren zahlreiche denkmalschutzwürdige Häuser vor Abrissplänen geschützt. Anschließend verwaltete eine städtische Wohnheimgesellschaft etwa zehntausend Wohnungen, die man neuen Mietern und Hausbesetzern, die vorher schon eingezogen waren, überließ. Also alles in allem ein großer Erfolg!

Der Frankfurter Häuserkampf inspirierte Gerhard Zwerenz zu seinem Roman ›Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond‹. Rainer Werner Fassbinder schrieb danach das missverständliche Theaterstück ›Der Müll, die Stadt und der Tod‹. Zwerenz’ Buch erschienen im März Verlag, nachdem die Aufführung des ›Müll-Stücks‹ im Schauspiel Frankfurt von Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde Frankfurt und verhindert worden war. Wir wollten und konnten mit dieser Neuausgabe des Zwerenz-Romans belegen, dass Gerhard Zwerenz kein antisemitischer, sondern ein antikapitalistischer Autor war.

BK / JS

›Siegfried‹ ist eine Messe wert

$
0
0

***
Der Bär flattert  in nordwestlicher Richtung.
***

Morgen fliegen wir nach Frankfurt zur Buchmesse, im Reisegepäck haben wir die soeben erschienene fulminante Besprechung von Albrecht Götz von Olenhusen: ›Siegfried or The Gentle Art of Making Enemies – Revisited‹, sie erschien in ›Literaturkritik.de‹.

Vorgeglüht hatten in der Reihenfolge ihres Erscheinens:

 

 
– Christian von Zittwitz eröffnete im BuchMarkt: ›Kultubuch des Monats‹.

 

— Peter Merg brachte in der ›jungen Welt‹ einen Vorabdruck aus der Vita.  

 

 
— Jan-Frederik Bandel schrieb in Neues Deutschland: ›Der Meister der gut sitzenden Anekdote‹

 

— Enno Stahl schrieb in der Rheinischen Post: ›Der erste Popautor: Jörg Schröder‹

 

– Frank Schäfer besprach ›Siegfried‹ im Oktober-Heft des ›Rolling Stone‹, der Text ist aber noch nicht online. Die Headline lautet: ›Sex, Suff und Literatur – Neuedition des sprachgewaltigen Skandalbuchs, das ein ganzes Milieu entblößte‹.

***


Jörg Schröder signiert die ›Siegfried‹-Neuausgabe, die im Frankfurter Schöffling Verlag erschien.

* * *
Wir freuen uns am Mittwoch und Donnerstag am Stand von Schöfling & Co. alte und neue Aficionados begrüßen zu können. Den Messestand von Schöffling & Co. finden Sie in Halle 4.1 / F28.

Am Mittwoch, den 10. Oktober 2018, um 12:30 Uhr wird Dietmar Dath mit Jörg Schröder sprechen. Den Stand der Frankfurter Allgemeinen Zeitung finden Sie ub Halle 3.1, D106.

Ebenfalls am Mittwoch um 16:30 Uhr wird Jörg Schröder aus ›Siegfried‹ lesen und Barbara Kalender stellt die Vita vor. Diese Veranstaltung findet auf der Leseinsel der Kurt-Wolff-Stiftung statt: Halle 4.1, D36.

Am Donnerstag, den 11. Oktober 2018, um 12:30 Uhr sitzt Jörg Schröder voraussichtlich auf dem ›Blauen Sofa‹, moderiert von Vivian Perkovic. Das ›Blaues Sofa‹ steht in der Halle 3.1, L25.

* * *
BK / JS

›Siegfried‹ ist eine Messe wert (2)

$
0
0

***
Es ist dunkel, wir sehen nicht, wie der Bär flattert.
***

Mittwoch, den 10. Oktober 2018, erster Tag der Frankfurter Buchmesse 2018

* * *
An der Glaswand des Laufbands zur Halle 4.1, wo der Schöffling Verlag seinen Stand hat, überraschte uns eine Strecke mit ›Siegfried‹-Plakaten mit dem Slogan: »Die Bombe im gelben Umschlag«. Ein schönes Entrée für uns als Autoren.


alle Fotos: Barbara Kalender

***

Der Verleger Klaus Schöffling präsentierte uns dann die Messenummer des ›Börsenblatts für den deutschen Buchhandel mit der nämlichen Titelseite. 1957 hätte sich der Buchhändlerlehrling Jörg Schröder nicht träumen lassen, dass einst ein Heft des ehrenwerten Börsenvereins mit seinem Buch als Cover erscheinen würde.


v.l.n.r.: Jennifer Sprodowsky, Silke Tabbert, Klaus Schöffling und Jörg Schröder mit dem Börsenblatt Heft 41

***

***
Auf dem Schöffling-Stand war gerade Ulrich Sonnenberg zu Besuch, der 1986 zusammen mit Ida und Klaus Schöffling die Frankfurter Verlagsanstalt neu gründete. Danach war er zehn Jahre lang Verkaufsleiter des Suhrkamp- und Insel Verlags. Seit 2004 ist Sonnenberg freier Übersetzer aus dem Dänischen und Norwegischen mit über 80 Titeln. Sonnenberg ist auch Herausgeber einiger Schriften von Hans Christian Andersen.

***

Das Motto von Schöffling & Co. lautet: »Im Mittelpunkt die Autoren«. Wir können dies nur bestätigen, denn alle Mitarbeiter des Verlags kümmern sich vorbildlich um unsere Belange.

 


v.l.n.r.: Sina Noel, Christian Dinger, Carolina López, Jörg Schröder, Jennifer Sprodowsky und Silke Tabbert

***


Ida Schöffling, die Verlegerin

***


Silke Tabbert und Barbara Kalender, Foto: Jörg Schröder

***

Patrick Hutsch und Jörg Schröder

***
Silke Tabbert und Patrick Hutsch sind seit Januar dieses Jahres Mitglieder der Verlagsleitung von Schöffling & Co. in Frankfurt am Main. Denn Klaus Schöffling will »rechtzeitig und entspannt« die Zukunft des Verlages sichern. Gemeinsam mit seiner Frau Ida will er auch künftig »heiter und tätig« an Bord bleiben. (Zitat aus dem Börsenblatt)

***
Anschließend begaben wir uns zum Stand der FAZ, auf deren Plattform, der von uns sehr geschätzte Autor und Redakteur Dietmar Dath mit Jörg Schröder ein Gespräch über die Neuausgabe des Buches ›Siegfried‹ führte. Das Publikum war offensichtlich zufrieden.

Jörg Schröder und Dietmar Dath während des Gesprächs auf der FAZ-Plattform

***

Danach das übliche Hallenbier mit Peter Merg, der uns die druckfrische Ausgabe des Literaturteils der ›jungen Welt‹ überreichte, worin eine Eloge von Frank Schäfer steht mit der Headline: ›Wir waren glücklich‹. Das Foto mit Peter scheiterte am Gegenlicht.

***
Auf der Messe Agora trafen wir den Börsenblatt-Korrespondenten Nils Kahlefendt aus Leipzig. Er berichtete, dass er die ›Schröder erzählt‹-Folgen in der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig gelesen habe. Hier werden alle Pflichtexemplare erfasst. Soeben stellen wir fest, dass auch Nils Kahlefendt über unsere Begegnung geschrieben hat in seiner Messeserie: ›Der Zufallstreffer‹.

 


Nils Kahlefendt und Jörg Schröder
***

Wir hatten unserem alten Freund Christian von Zittwitz versprochen, ihn auf der Buchmesse zu besuchen, weil wir uns neulich in Düsseldorf verpasst hatten.


v.l.n.r.: Jörg Schröder und Christian von Zittwitz
***
Jetzt sprachen wir wieder von den Zeiten, in denen Christian als gerade ausgelernter Jungbuchhändler das Branchenblatt ›BuchMarkt‹ gründete. Christian meinte, wenn er heute seine Memoiren schriebe, dann könnte er leicht ein Subskriptionsangebot auflegen, welches es Menschen aus dem Buchwesen gegen eine erkleckliche Summe ermöglichte, NICHT darin vorzukommen. Dies war natürlich nur als Witz gemeint. Jörg antwortete ihm: »Hätten wir diese Methode im Jahre 1990 (als die ›Schröder erzählt‹-Folgen zuerst erschienen) angewandt, dann hätte unser Gesamtwerk von knapp viertausend Seiten nicht gefüllt werden können. Es wären dann höchstens vierhundert Seiten erschienen, aber wir wären steinreiche Autoren geworden.«

Danach wechselten wir zum Stand des Verbrecher Verlags und bedankten uns bei Jörg Sundermeier für seine ebenfalls druckfrische ›Siegfried‹-Eloge im Berliner ›Tagesspiegel‹.


Kristine Listau und Jörg Sundermeier, die beiden Verbrecher Verleger

***
Am Nachbarstand des Starfruit Publications, wo auch ein Buch von Dietmar Dath und Heike Aumüller ›Verbotene Verbesserungen‹ erschienen war, sprach Barbara mit dem Verleger und Direktor des Instituts für moderne Kunst in Nürnberg, Manfred Rothenberger.

Gleich gegenüber ist die Leseinsel der Independent-Verlage in der Kurt-Wolf-Stiftung. Dort lasen wir 20 Minuten, Jörg Schröder aus dem ›Siegfried‹ und Barbara Kalender aus der Vita ›Das ganze Leben‹. Die 170seitige Vita ist  in der Neuausgabe enthalten.

Am Ende unserer Lesung kamen Ricco Bilger, der Schweizer Verleger des Bilgerverlags, und der Schriftsteller und Journalist Willi Wottreng an die Reihe. Ricco Bilger begrüßte uns mit den Worten: »Max Rüdlinger hat mich gebeten, euch herzliche Grüße von ihm auszurichten.« Wir sind seid langem mit dem Schauspieler und Literaturbegeisterten Max befreundet.

Ricco Bilger und Willi Wottreng

***

Willi Wottreng las aus seinem Buch ›Deskaheh – auf Kriegspfad in der Schweiz‹. Darin berichtete er von einer wahren Begebenheit: Der Häuptling Deskaheh reiste 1923 nach Europa, um dagegen zu protestieren, dass Kanada – der Staat der Weißen – das Land der Irokesen okkupierte. Der Häuptling wandte sich mit einem »Appell der Rothäute« an den Genfer Völkerbund und wollte in der freiheitsliebenden Schweiz für die Sache der Indianer werben. Leider waren wir mit jemand verabredet und konnten der spannenden Lesung nicht weiter zuhören. Am Schöffling-Stand erzählten wir Patrick Hutsch vom Häuptling Deskaheh, und er besorgte uns tatsächlich subito das Buch vom Bilgerverlag – nach dem Schöffling-Motto: »Im Mittelpunkt die Autoren«.

Morgen geht es weiter

* * *
BK / JS

›Siegfried‹ ist eine Messe wert (3)

$
0
0

***
Der Bär flattert  in nordöstlicher Richtung.
***


alle Fotos: Barbara Kalender

* * *
Donnerstag, den 11. Oktober 2018, zweiter Tag der Frankfurter Buchmesse 2018

Am Messestand des Schöffling Verlags  sprach der Verleger Klaus Schöffling mit Jörg Schröder über zukünftige gemeinsame Projekte – natürlich noch vertraulich.


v.l.n.r.: Jörg Schröder, Klaus Schöffling, vorn hockend Patrick Hutsch, die anderen Messebesucher kennen wir nicht. Alle Fotos: Barbara Kalender
***

Eine denkwürdige Begegnung auf dem Messegang: Abraham Melzer, der Sohn Joseph Melzers, fragte Barbara, wo sie das Foto seiner Mutter herhabe. Das war leicht zu beantworten: Mirjam Melzer schickte das Foto aus Amerika an Jörgs Mutter (Edith Neusch van Deelen) mit der Widmung auf der Rückseite: »Zum Andenken von mir Mirjam Melzer 6.9.67« Abi gefiel das Foto so gut, dass Barbara ihm versprach, ihm einen Scan zu schicken.

Und nun ein Zitat aus der Siegfried-Neuausgabe, die auch die Vita von Jörg Schröder (von 1938 bis 2018) enthält:

1965: Nach seiner Rückkehr aus München rief Jörg Freunde und Bekannte an, darunter war auch Joseph Melzer, der mit seiner Familie ebenfalls in Düsseldorf lebte. Der verzweifelte Verleger erzählte ihm, dass er sich mit den drei Dünndruckbänden der Gesammelten Schriften von Ludwig Börne hoffnungslos überschuldet habe. Melzer bat Jörg um Hilfe, der übernahm trotz böser Vorzeichen die Stelle als »Verlagsleiter« beim Joseph Melzer Verlag und war in den ersten beiden Jahren Lektor, Hersteller, Werbemann, also Mädchen für alles.
Es gelang Jörg bei Banken Kredite abzuschließen und bei Bonner und anderen Institutionen, Stützungskäufe zu erreichen. So schrieb Eugen Kogon, Ordinarius für wissenschaftliche Politik an der technischen Hochschule Darmstadt am 19. November 1965 an den Joseph Melzer Verlag: »Sehr geehrter Herr Schröder! Vor einiger Zeit habe ich Ihnen den Weg zum Vorstand der IG Metall in Frankfurt eröffnet, damit Sie dort Hilfe für den Melzer-Verlag, im besonderen durch den Verkauf der Börne-Gesamtausgabe, finden sollten. In einem gewissen Umfang, der freilich bei weitem nicht genügt, um die bestehenden Schwierigkeiten zu überwinden, ist es auch gelungen.  Leider bin ich infolge einer allmählich erschreckenden Überlastung mit Aufgaben nicht imstande, in gleicher Weise für Sie bei den Gewerkschaften helfend tätig zu werden. Ich schreibe Ihnen daher diesen vorliegenden Brief, damit sie ihn als meine intensive Empfehlung selber bei den entsprechenden Gewerkschaftsleitungen vorlegen. Und ich vermerke ausdrücklich, dass sich mein Freund Walter Dirks in Köln und Herr Oberrabbiner Geis in Düsseldorf dieser meiner Empfehlung bedingungslos anschließen. Wir alle werden es überaus zu schätzen wissen, wenn die anderen Gewerkschaften im Maße des Möglichen die Teilinitiative, wie sie von Seiten der IG Metall in Ihrer Sache erfolgt ist, aufgreifen und dazu beitragen werden, das verdienstvolle Wirken des Melzer-Verlags in der schwierigen Situation, in die er geraten ist, für die deutsche Öffentlichkeit zu erhalten. Hoffentlich gelingt es Ihrer eigenen unablässigen Energie, noch rechtzeitig das Notwendige zu erwirken. Mit meinen besten Grüßen und Wünschen Kogon.«

1966: Der Joseph Melzer Verlag zog von Düsseldorf nach Darmstadt. Jörg erhoffte sich eine Förderung durch die Stadt. Tatsächlich besorgte die Kulturbehörde sowohl Joseph Melzer als auch Jörg Schröder lediglich zwei Appartements in einem neu errichteten Hochhaus des Bauvereins für Arbeiterwohnungen im Darmstädter Vorort Eberstadt. Das erste Darmstädter Büro des Melzer Verlags wurde auf eigene Kosten im Souterrain eines Hauses in der Osannstraße gemietet, bis zum Stadtzentrum waren es nur zehn Minuten zu Fuß. Traudel Brand wurde als Lehrling eingestellt.

1967: Mit der Veröffentlichung des Erotik-Bestsellers Die Geschichte der O von Pauline Réage, war der Melzer Verlag saniert. Das Buch erreichte eine Auflage von 150 Tausend.


v.l.n.r.: Abraham Melzer, Jörg Schröder und Christian von Zittwitz. Die Drei kennen sich seit 1965, als sie alle Drei in Düsseldorf lebten. Christian erhielt als erster Journalist 2009 vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels die goldene Ehrennadel. Er gibt das Magazin ›BuchMarkt‹ heraus.

***

Danach gingen wir zum Stand: I’M ON THE SAME PAGE.


***

Katharina Gewehr hatte uns geschrieben: »2018 begehen die Vereinten Nationen (UN) den 70. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, zugleich findet die Frankfurter Buchmesse in diesem Jahr zum 70. Mal statt (10.-14. Oktober 2018). Gemeinsam mit ARTE, ZDF und DER SPIEGEL haben die Frankfurter Buchmesse und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels sich deshalb zusammengeschlossen und mit Unterstützung der Vereinten Nationen und Amnesty International die Kampagne „On The Same Page“ gestartet. Mit der Kampagne laden die Partner die internationale Buch- und Medienbranche ein, sich für die Einhaltung der Menschenrechte zu engagieren. Um dem Thema möglichst viel Aufmerksamkeit zu verschaffen, erstellt die Buchmesse, deren freie Mitarbeiterin ich bin, im Rahmen der #onthesamepage-Kampagne gerade eine Liste mit persönlichen Literaturempfehlungen zum Thema Menschenrechte. Daher möchte ich Sie fragen, ob wir Sie dafür gewinnen können, eine persönliche Empfehlung abzugeben?«

Wir empfahlen  für die Kampagne das Buch von Annett Gröschner: „Berolinas zornige Töchter – 50 Jahre Berliner Frauenbewegung“, herausgegeben vom FFBIZ. Es ist eine der kenntnisreichsten und bestrecherchierten Veröffentlichungen zum Thema. Besonders interessant ist die Gegenüberstellung des Feminismus West-Berlin und Ost-Berlin. Das hat es bisher nicht gegeben. Und der Bildteil ist ebenso selten.

Mehr über diese Aktion erfährt man auch auf der Buchmesseseite.

***

***

Dann verewigten wir uns auch auf der Wand.
***
Besuch aus Hamburg, wir trafen die Mitorganisatoren des Harbourfront Literaturfestivals, an dem wir vor kurzem teilgenommen hatten.

v.l.n.r.: Nikolaus Hansen, Christian Dinger und Petra Bamberger

***

Mittags machten wir uns auf den Weg zum  ›Blauen Sofa‹, das in der Halle 3.1, L25 steht. Dort nahm uns Christiane Munsberg in Empfang, die Erfinderin und Organisatorin der beliebtesten literarischen Plattform der Buchmesse. Mehr über das ›Blaue Sofa‹ erfährt man in einem Interview, das der BuchMarkt mit Christiane Mundsberg geführt hat.


Christiane Mundsberg und Jörg Schröder. Sie sprachen über alte Zeiten und die gelben MÄRZ-Koffer, die wir 1982 über die Buchmesse getragen hatten.

***

Anschließend interviewte Vivian Perkovic Jörg Schröder auf dem blauen Sofa. Dieses Gespräch findet man in der ZDF-Mediathek.


Ein lustiges Detail: Vivian Perkovic trug gelbe High Heels (vermutlich von Prada), passend zum gelben Umschlag der ›Siegfried‹-Neuausgabe.
***


***

Nach dem Fernseh-Interview tranken wir ein Gläschen Rot- und Weißwein an einem Stand des diesjährigen Gastlandes der Buchmesse: Georgien.

Wir lernten das georgische Wort für Prost: Gagimardschos! Wer wissen will, wie man es ausspricht, kann das hier hören.


v.l.n.r.: Jörg Schröder, Gastgeberin aus Georgien und Barbara Kalender. Foto: Ronald Steinert
***

Mit dem Musiker und Schriftsteller Ronald Steinert besuchten wir dann auch den Wikipedia-Stand, wo Harald Krichel ein Foto von Jörg und von uns beiden machte. Es ist das schönste aktuelle Paarfoto von uns – finden wir.

***

Wieder am Schöffling-Stand trafen wir Frank Hertweck vom SWR Baden-Baden, einer unserer ›Schröder erzählt‹-Subskribenten.

In einer Rückschau stellt SWR-Literaturchef Frank Hertweck alle Gewinner des Deutschen Buchpreises von 2005 bis 2017 kurz vor.


v.l.n.r.: Jennifer Sprodowsky, Frank Hertweck, Jörg Schröder und Ronald Steinert
* * *
Gleich darauf kam Günter Arold, er  ist ebenfalls Subskribent der ersten Stunde von ›Schröder erzählt‹. Er war einer unserer Vertreter des dritten März-Verlags, reiste im Süden für unsere Bücher und  andere linke und literarische Verlage, aber auch z. B. für den Karl-May-Verlag. Mittlerweile ist Günter im Ruhestand.

v.l.n.r.: Jörg Schröder, Günter Arold und Ronald Steinert.
***

Dann gab es noch einen Fototermin – dieses Mal mit der dpa.

***
Das war’s mit der Messe, erschöpft und gut gelaunt fuhren wir mit der S-Bahn zum Flughafen. Easyjet setzte ein italienisches No-Name-Airplane ein, natürlich mit italienischer Crew. Der Kapitän startete, flog und landete die Maschine wie ein Messer durch die Butter, also ohne einen Rumpler. Lediglich die Durchsagen klangen in seinem Englisch wie der berühmte Kalauer: »The Italian Man Who Went To Malta«.

***

BK / JS

Na dann, Prost!

$
0
0

***
Der Bär flattert in südweslicher Richtung.
***


Diese Installation im Frankfurter Bahnhofsviertel schickte uns  Sabine Bung-Hedderich.

Alles Gute für 2019 wünschen
Barbara und Jörg

* * *

(SBH / BK / JS)


Müllstück (2)

$
0
0

***
Der Bär flattert in östlicher Richtung.
***

Heute wird in Mülheim ›Der Müll, die Stadt und der Tod‹ von Rainer Werner Fassbinder aufgeführt, daher erzählen wir die Geschichte der ›Notausgabe‹ im eigens dafür gegründeten April, April! Verlag:

Ich rief Gerhard Zwerenz an und erzählte ihm von Barbaras Erfahrungen mit dem gesunden Volksempfinden. »Ich bin auch gegen die Aufführung«, sagte er, »das habe ich aber schon 1982 nach Fassbinders Tod erklärt. Rainer hat ja das Stück selbst für unfertig gehalten; wenn er noch lebte, würde er es vermutlich bearbeiten. Wie auch immer, ich habe Karlheinz Braun schon einen Monat vor der Bühnenbesetzung gewarnt, diese Aufführung durchzusetzen, und ihm geraten, sich lieber mit dem Zustand faktischer Zensur abzufinden. Es hat nicht gefruchtet. Der Verlag der Autoren war entschlossen, die Konfrontation mit der jüdischen Gemeinde zu erzwingen. Das Ganze ist für mich besonders ärgerlich, weil Rainers Stück von meinem Roman inspiriert wurde. Im Grunde ist es eine Bearbeitung von ›Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond‹, wenn auch in schrecklicher Vereinfachung. Aber ich muß wohl damit leben, einerseits ständig als Stofflieferant des Stückes genannt zu werden, andererseits kein Mitspracherecht daran zu haben.«

Darauf redete ich mich in Rage: »Was ist das für eine bornierte Haltung?! Warum kann der Verlag der Autoren nach dieser Eskalation seine Position nicht zurücknehmen?! Schließlich sind Auschwitz-Überlebende in Häftlingskleidung vor dem Theater aufmarschiert und nicht das Egerländer Trachtenquintett. Sind denn Braun und Töteberg verrückt geworden, nicht zu begreifen, was sie mit ihrer Sturheit anrichten?« »Das siehst du richtig«, unterbrach mich Zwerenz, »aber du darfst eins nicht vergessen, es geht denen um Kohle! Der Verlag der Autoren will den Skandal, weil sie wissen, wenn sie das Stück in Frankfurt durchsetzen, wird es ein Welterfolg. Das bedeutet hohe Tantiemen, damit wären die saniert, deswegen halten sie daran fest. Hier geht es ums Geld!« »Das müssen wir verhindern!«, unterbrach ich ihn. Und Zwerenz: »Das kann man nicht verhindern.« »Vielleicht doch! Du sagst, Fassbinder hat sein Stück nach deinem Roman geschrieben. Kannst du das beweisen?« »Na klar, dass Rainer Stoff und Figuren übernommen hat, ist evident und feuilletonnotorisch. Bereits die erste Zeile seiner Szenenanweisung lautet: ›Auf dem Mond, weil er so unbewohnbar ist wie die Erde.‹ Auch seine Zentralfigur, der namenlose ›reiche Jude‹, ist von den Charaktereigenschaften und Handlungen der Figur des Abraham abgeleitet, allerdings ohne diese aus seiner Biographie zu erklären wie im Roman. Das aber hat dem Stück ja gerade den Vorwurf des Antisemitismus eingebracht. Und in Rainers Stück fehlen auch meine Protagonisten, so zum Beispiel der Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Deshalb ist das  ›Müllstück‹ so klischeehaft mißverständlich, und es ärgert mich, dafür mithaften zu müssen. Seit 1975 habe ich Rainer geraten und gebeten, dieses Stück vor einer Aufführung zu bearbeiten. Er hat es mir versprochen und nie bestritten, den Stoff aus meinem Roman genommen zu haben. Hier bei mir liegt sein erstes Manuskript mit der handschriftlichen Dedikation von Ingrid Caven, Fassbinders damaliger Frau: ›Mit Gruß von Rainer und Dank für die Figuren‹.«

Das war eine interessante Wendung. »Wenn dir Fassbinder für die Figuren dankt«, sagte ich zu Zwerenz, »dann ist das  ›Müllstück‹ nach meinem Verständnis von Urheberrecht eine abhängige Bearbeitung. Somit hast du einen urheberrechtlichen Anteil daran, folglich auch ein Mitspracherecht. Du könntest dich also hinstellen und konstatieren: ›Ich bin gegen eine Aufführung.‹ Als Urheberberechtigter mußt du es nämlich nicht hinnehmen, wenn eine schlechte Bearbeitung deines Stoffes gespielt werden soll.« »So gesehen, hast du recht«, meinte Gerhard, »aber es gefällt mir nicht, meinem toten Freund ins Grab nachzurufen, dass er ein schlechtes Stück geschrieben hat. Außerdem gibt es ja noch sein Drehbuch, in dem er sich eng an den Roman anlehnt. Das habe ich hier liegen; wenn du willst, komm her und vergleiche die beiden Texte.« Das taten wir, Barbara und ich rauschten im Volvo vom Vogelsberg in den Hochtaunus und holten Roman und Drehbuch ab, lasen beide und beschlossen: Dieses Buch muß neu erscheinen, erstens, weil es gut ist, und zweitens, um Zwerenz’ rechtliche Position zu stützen und anschließend das ›Müllstück‹ zu kippen.

Ganz richtig, ich finde, der 1973 zuerst im S. Fischer Verlag in Frankfurt am Main erschienene Roman ›Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond‹ ist nicht nur gut, sondern der beste Stadtroman der zweiten Republik. Ja, ich weiß, Gerhard Zwerenz hat nicht den besten Ruf, weil er als Vielschreiber durch alle Genres turnte. Ein ähnliches Beispiel ist Upton Sinclair, auch er schrieb wie Zwerenz über hundert Bücher und davon blieben nur wenige. Was sicher bleibt ist der ›Dschungel‹, sein Roman über die Ausbeutung der Emigranten in den Schlachthöfen Chicagos, der gehört in den Kanon amerikanischer Literatur. Und Zwerenz’ ›Erde‹ erzählt von einem deutschen Chicago namens Frankfurt, und dieses Buch von ihm wird ebenfalls bleiben. Es ist ein Bericht über Stadtzerstörung durch Spekulanten und die Verstrickungen von Kommunalpolitikern in die kriminelle Szene der Halbwelt. Das alles spielt vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs der Jugendrevolte. In diesem Roman schildert Zwerenz auch den Weg des Barbesitzers Abraham aus dem Bahnhofskiez in die Welt der Westend-Grundstücksspekulanten.

Nebenbei bemerkt: In sämtlichen Publikationen war und ist stereotyp davon die Rede, dass Zwerenz und nach ihm Fassbinder die Figur des jüdischen Spekulanten von dem Immobilienkaufmann Ignatz Bubis abgenommen hat. Alle diese Skribenten sind auf dem Holzweg und kennen die wahren Frankfurter Verhältnisse nicht. Denn Ignatz Bubis war nie auch nur entfernt in das Frankfurter Rotlichtmilieu involviert. Wenn hier schon reale Figuren genannt werden sollen, so müßten es solche Leute sein wie Joschel Buchmann oder die Beker-Brüder, die unter traumatisierten KZ-Überlebenden in DP-Lagern aufwuchsen. Deren zwischen Brutalität und Sentimentalität changierende Psyche porträtiert Gerhard Zwerenz meisterlich in seiner Figur des Abraham.

Parallel dazu erzählt der Autor die Vita des Generalstaatsanwalts Fritz Bauer, des Anklägers im Frankfurter Auschwitz-Prozeß. Solche gegensätzlichen Charaktere werden über einen jungen Rechtsanwalt zusammengeführt; als Vorbild für diese Figur diente Reiner Demski, der Anfang der Siebziger gestorben war. Ihm gehört die besondere Sympathie des Autors. Seine Zuneigung für diese anarchistische Lichtgestalt nützte Zwerenz allerdings bei Demskis Witwe wenig, der war das immer noch nicht Licht genug. Wirklich, Witwen sind unersättlich und Rachegöttinnen dazu! Eigentlich ist Eva Demski eine gute Autorin und eine gelassene, humorvolle Frau, aber wenn sie nur den Namen Zwerenz hört, kriegt sie Schaum vor den Mund. Na, lassen wir mal die Witwe beiseite, hier geht es um literarische Gerechtigkeit. Deshalb wollte ich eine Neuauflage dieses vergessenen Romans der siebziger Jahre veranstalten. Paradoxerweise wurde diese Edition vom Skandal, dessen Auslöser ›Die Erde‹ letztendlich war, auch gleich wieder zugedeckt.

Mein Plan war, in einem Anhang zum ›Erde‹-Roman Fassbinders Drehbuchadaption zu dokumentieren, damit ein Vergleich möglich sei. Angesichts der Aufregungen und Verwirrungen, die der Skandal mit sich gebracht hatte, sollte dieses Drehbuch zeigen, dass Fassbinder neben der mißlungenen auch noch eine adäquate Bearbeitung des Stoffes abgeliefert hatte. Da nun dieses Drehbuch wortwörtlich der Romanvorlage folgte, dachte ich, der Verlag der Autoren kann einem honorierten Abdruck schlechterdings nicht widersprechen, zumal er der Begriffsentwirrung dienen sollte. So schlug ich es Zwerenz vor, er akzeptierte, und die Sache nahm ihren Lauf: Der März Verlag kündigte für den Februar 1986 den Roman ›Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond‹ an zusammen mit Fassbinders Drehbuch.

Gleichzeitig untersagte Zwerenz’ Anwalt Manfred Oehme, der auch mich vertrat, dem Verlag der Autoren die bühnenmäßige Auswertung des ›Müllstück‹s. Darauf konterte der: »Wir haben auch Rechte an dem Drehbuch, deshalb verbieten wir nun unsrerseits den Abdruck im März Verlag.«

Wenn du in einen inszenierten Skandal über einen gefährlichen Stoff, bei dem die Argumente hochkochen, plötzlich ein formaljuristisches Argument einführst und feststellst, dies sei lediglich ein Versuch zur Klärung eines Sachverhalts, funktioniert das wie ein Kurzschluß. Die Skandalmaschinerie kommt zum Stillstand. Anders gesagt, die Bühnen im In- und Ausland, die sich schon darauf gespitzt hatten, das skandalumwehte Stück in ihrer Stadt aufzuführen, waren nun verunsichert. Denn es ist eine Sache, sich an Entrüstungsreflexen der Juden gesundzustoßen, und eine andere, sich um die Pfändung der Theaterkasse sorgen zu müssen. Ob New York, Mailand oder Ulm, alle Bühnen bekamen mit, dass es bei dem Frankfurter Streit nicht mehr nur um Inhalte und Moral ging, sondern auch um eine urheberrechtlich ungeklärte Situation. Deshalb waren sie nun nicht mehr so sehr interessiert. Unsere Strategie erwies sich als erfolgreich: Wir hatten dem Verlag der Autoren das Geschäft vermasselt. Entsprechend wütend reagierten die auf den Verlust ihrer melkenden Kuh und begannen, Truppen gegen mich zu sammeln. Als erstes erwirkten sie eine einstweilige Verfügung. Hier mußte der März Verlag unterliegen, weil ja Fassbinder ebenso wie Zwerenz einen urheberrechtlichen Anteil an dem Drehbuch zum ›Erde‹-Roman hatte.

Und jetzt machte ich einen Fehler. Ich hätte der Druckerei sagen müssen: »Makuliert den Drehbuch-Anhang, wir veröffentlichen nur den Roman von Zwerenz.« Dann hätte der Verlag der Autoren sich seine einstweilige Verfügung an den Hut stecken können. Aber als manchmal zu viel wagender Drehkopf dachte ich mir: Eine einstweilige Verfügung gegen März? Na, dann gründe ich schnell einen neuen Verlag, nenne den ›April, April! Verlag‹, das Buch erscheint also in einem Verlag, gegen den es noch keine einstweilige Verfügung gibt – als kalkulierter Raubdruck. Ich formulierte neue Verträge mit Zwerenz, änderte den Umschlag und die Titelei, alles geheime Kommandosache, meldete den ›April, April! Verlag von Jörg Schröder‹ zum Gewerberegister an. Außerdem lud ich zu einer Pressekonferenz ein.

Gerhard Zwerenz‘ Sicht der Dinge kann man im Poetenladen lesen.

(Fortsetzung folgt)

(BK / JS)

Müllstück (3)

$
0
0

***
Der Bär flattert in südöstlicher Richtung.
***

Gestern fand in Mülheim die Uraufführung von Fassbinders ›Der Müll, die Stadt und der Tod‹ statt. Wir erzählen hier die Geschichte der ›Notausgabe‹ im eigens dafür gegründeten April, April! Verlag:

Der Verlag der Autoren bekam Wind von der Sache und beantragte beim Schnellrichter eine Beschlagnahmung der ›April, April!‹-Ausgabe. Einen Tag vor der Pressekonferenz erschienen zwei hessische Polizisten mit dem Gerichtsvollzieher Hohler – der Mann hieß tatsächlich so! – und präsentierten einen Durchsuchungsbefehl, der sie ermächtigte, alle auffindbaren Exemplare der ›April, April!‹-Ausgabe sicherzustellen. Vorsichtig, wie wir gewesen waren, befanden sich die für die Pressekonferenz vorgesehenen zweihundert Bücher nicht im Hause, sondern lagen im Volvo-Kofferraum. Die Polizisten und der Gerichtsvollzieher machten die Bude links, ans Auto, das dick und fett vor der Haustür stand, dachten sie nicht. So fanden sie nur zwei Belegexemplare, die sie beschlagnahmen konnten.

Trotzdem hatten die Beamten Spaß an der Aktion, mit ihren Stinkefingern wühlten sie ausgiebig in Barbaras Unterwäsche. Obwohl Barbara sie darauf hinwies, dass dies ihr Privatzimmer sei, durchstöberten sie jede Schublade der Kommode. Wie japanische Wäscheschnüffler begrapschten sie jeden Slip. Nein, dieser Vergleich ist falsch! Barbara legt Wert auf die Feststellung, dass in ihren Schränken keine benutzte Wäsche aufbewahrt wird.

Warum wir für die Pressekonferenz ausgerechnet den ›Frankfurter Hof‹ wählten? Na, ganz einfach: Weil erfahrungsgemäß in so einem ersten Haus am Platze mehr Journalisten erscheinen, als wenn du ins Gewerkschaftshaus einlädst, zweiter Stock, dritte Tür links. Der Konferenzraum war rappelvoll mit zirka sechzig Leuten. Es gab auch eine Fernsehkamera, alle wichtigen Zeitungen und Magazine hatten Korrespondenten und Reporter geschickt: ›Baseler Nachrichten‹, ›Frankfurter Allgemeine‹, ›Frankfurter Rundschau‹, ›Süddeutsche‹ und wie sie alle hießen. Zwerenz sprach über die Genesis von Drehbuch und ›Müllstück‹, Anwalt Oehme legte unsere Urheberrechtsposition dar, ich polemisierte gegen den Verlag der Autoren, der als einer der Kollektivverlage 1969 aus der Literaturproduzentenbewegung hervorgegangen sei und jetzt einem anderen linken Verlag die Polizei ins Haus schicke. Und nicht nur uns, auch der Sozialistischen Verlagsauslieferung; Helmut Richter hatte es ebenfalls empört, dass der Genosse Karlheinz Braun das Sova-Lager von Polizeikräften durchsuchen ließ, übrigens auch hier ohne Erfolg. Doch als Barbara den Presseleuten berichtete, wie die Bullen mit den Wichsgriffeln in ihrer Unterwäsche rumgestöbert hatten, wirkte diese schlichte Geschichte überzeugender als unser ganzer elaborierter Urheberrechtsklimbim.

Das war wirklich ein Ding! Man kann sich ja vor Gericht bekämpfen, aber einem anderen Verlag die Bullen ins Haus schicken, dazu würde ich mich nicht hinreißen lassen. Noch ganz andere Geschmacksbollwerke begannen unter dem Druck der Ereignisse zu bröckeln. Klaus Schöffling, damals noch nicht Verleger, sondern Dozent an der Buchhändlerschule, schrieb im ›Börsenblatt für den deutschen Buchhandel‹ sieben Seiten voll mit grotesken Sätzen wie: »Jedenfalls schreckt jetzt ein Verleger, der dieses Handwerk seit immerhin zwanzig Jahren betreibt, nicht vor einem Raubdruck zurück und versucht auch noch, den Rechteinhaber als ›links‹ zu diffamieren: Jörg Schröder.« Dass ›links‹ einer Diffamierung gleichkommt, muß einem erst mal einfallen! Man konnte sich nur noch an den Kopf fassen, was hier bei bisher intellektuell satisfaktionsfähigen Leuten vor sich ging. Es zeigte sich eben, dass diese ›Müllstück‹-Kontroverse mehr vom ewigen Antisemitismus hochspülte als geahnt, ein ähnliches Phänomen wie bei der Walser-Diskussion.

An der Tete der Anti-März-Kampagne marschierte Walter Boehlich, den ich bis dahin immer für einen guten Mann gehalten hatte. Während der ›Polizeimesse 1968‹ stellte er sich offen gegen Siegfried Unseld, der als Mitglied des Buchmesse-Aufsichtsrats zwischen allen Stühlen saß. Nach diesem Eklat feuerte der aufgebrachte Suhrkamp-Verleger seinen Cheflektor wegen Illoyalität. Anschließend gründeten Boehlich, Benseler, Pinkall und ich mit einer Handvoll Autoren, Journalisten, Lektoren und Verlegern die ›Literaturproduzenten‹. Parallel dazu entstanden die Kollektive März Verlag und Verlag der Autoren, dessen Leiter Karlheinz Braun vorher ebenfalls im Suhrkamp Verlag gearbeitet hatte. Seitdem war Boehlich eng mit Braun verbunden und vertrat verständlicherweise dessen Position. Weniger Verständnis habe ich dafür, dass er dabei Lügen in die Welt setzte, die man sich kaum traut wiederzugeben, so dumpf nölte es aus Boehlichs Pfeifenmaul: »Dieser Schröder, das weiß man ja längst, lässt sich von Bubis für diesen Coup bezahlen.«

Ausgerechnet von meinem Freund Christian Schultz-Gerstein mußte ich mir diese Latrinenparole anhören, Boehlich hatte sie ihm gesteckt wie allen anderen auch. Damals saß Christian schon nicht mehr beim ›Spiegel‹, sondern hatte zum ›Stern‹ gewechselt. Ich kann es mir nur mit Suff erklären, dass er diesen Scheiß des integren Herrn Boehlich glaubte, obwohl ich ihm doch alles brühwarm und bis ins Detail erklärt hatte. »Kein Thema, gib doch zu, Bubis hat dich bezahlt«, sagte er in seiner gedehnten Sprechweise zu mir, »du bist eben auch ein Schwein!« Unnötig zu erwähnen, ich bekam von niemand einen Pfennig – leider. Von Bubis gar nicht zu reden, weder mit ihm noch mit irgendeinem seiner Rechtsvertreter habe ich je gesprochen oder korrespondiert, auch später nicht. Aber ich muss zugeben, der Bestechungsvorwurf war gut ausgedacht – Stichwort: ›reicher Jude‹ –, er passte ins allgemeine Bild. Ich verstand die Welt nicht mehr: Wie konnte ein Mann wie Boehlich, der sonst immer eine moralische oder gelehrte Fußnote parat hatte, plötzlich auf solch ein primitives Kolportageniveau sinken? Damit war der Kerl für mich nicht nur intellektuell, sondern auch menschlich erledigt.

Wenn ich heute das Resultat unserer Bemühungen betrachte, was bleibt da? Das ›Müllstück‹ wurde nicht aufgeführt, auch dank unserer Zwerenz-Aktion. Es folgte dann noch der Prozeß, den der Intendant der Frankfurter Bühnen, Günther Rühle, gegen Henryk Broder führte, hierbei ging es um Rühles angeblichen oder tatsächlichen Ausspruch vom »Ende der Schonzeit«. Von da an war die Stimmung in den Medien endgültig umgeschlagen. Dabei kann man vergessen, dass vor einigen Jahren das Berliner Gorki-Theater erfolglos versuchte, den Frankfurter Skandal zu wiederholen, und das Stück sporadisch an drei, vier ausländischen Bühnen gespielt wurde, in New York und sogar in Israel. Bisher glückte also eine Skandalisierung nicht mehr, die Luft war raus.

Aber jetzt versucht es der Verlag der Autoren erneut in Mühlheim. Denn die Parole vom »Ende der Schonzeit« ist noch nicht verklungen. Im Gegenteil, vom Festakt auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg und der ›Müllstück‹-Kontroverse Mitte der Achtziger bis zur Walser-Moralkeulen-Diskussion ist das Thema virulent. Insofern war die Gewißheit, die Uraufführungsversuche in Frankfurt mit verhindert zu haben, nur ein kleiner Sieg und vielleicht die viele vergeudete Arbeitszeit und die Aufregungen nicht wert. Mit letzterem meine ich weniger die öffentlichen Auseinandersetzungen, sondern ganz schlicht meine physische Konstitution. Schließlich waren Barbara und ich ständig unterwegs gewesen, hatten mit irgendwelchen Alternativgruppen und in zahlreichen Buchhandlungen diskutiert. Die Buchhändlerschule lud mich ein und auch Paulus Böhmer in sein soeben gegründetes Hessisches Lite-raturbüro. Wenn ich zwei Stunden bei einer Veranstaltung geredet hatte, war ich erschöpft. Eine neue Erfahrung für mich, bisher war Aufregung mein Lebenselixier gewesen. Plötzlich machte mich eine Diskussion fertig. Das schrieb ich dem Thema zu, dabei war es nur der Aufgang einer Krankheit, verengte Herzkranzgefäße eben, was ich nicht wußte oder nicht wissen wollte.

Insgesamt eine anstrengende Sache: emotional, physisch und vor allem – schon wieder fällt mir das zuletzt ein – auch ökonomisch. Von den fünftausend Zwerenz-Büchern hatten wir zweitausend ausgeliefert, allerdings unverlangt mit Remissionsrecht – das musste wegen der rechtlichen Situation sein. Davon kamen über tausend Exemplare zurück. Unsere Hoffnung, dass der Buchhandel den Rest der ›April, April!‹-Auflage trotz der einstweiligen Verfügung bestellen würde, ging nicht auf. Zwar hätte es für die Sortimenter kein Risiko bedeutet, denn die Verkaufsverbote richteten sich nur gegen den Verlag. Aber Buchhändler gehören nun mal – bis auf ein paar Ausnahmen, die du an den zehn Fingern abzählen kannst – zur Spezies der Hasenfüße. Deshalb sollte sich kein Verleger bei Strafe des Totalflops auf die Risikofreude des Buchhandels verlassen. Viertausend Exemplare lagerten zum Schluss bei der Sova, Helmut Richter ließ sie irgendwann wegen der hohen Lagerkosten makulieren. Daher ist das Buch mittlerweile ein Antiquariatsrarum, das ist die ökonomische Quintessenz der Aktion: Fünfundsechzigtausend Mark Produktions- und Gerichtskosten waren in den Sand gesetzt, Geld, das wir nicht hatten und das uns kein Bubis spendete.

Gerhard Zwerenz‘ Sicht der Dinge kann man im Poetenladen lesen.

(BK / JS)

Viewing all 17 articles
Browse latest View live